Infiltrationstaktiken in Lateinamerika
Große Planungen, zentralisierte Steuerungen und die Auflösung der Unterscheidung zwischen Architekturplanung und Stadtplanung galten einst als viel versprechende Ideen, waren Ingredienzien des Wohnbaus in den 1970er-Jahren, als die Vorstellung von einem besseren Leben für die Mehrheit durch die Architektur unglaubliche Dimensionen angenommen hatte. Die reichlich fließenden Gelder, die Zentralisierung der Entscheidungen und eine unbegrenzte Macht derjenigen, die an den Zeichentischen saßen, ermöglichten den Abriss ganzer Städte, was zur Auslöschung historischer und lokaler Bindungen einerseits und zur Zerstörung von botanischen, archäologischen und sozialen Spuren und Strukturen andererseits führte. An Stelle dessen entstand eine flache, neutrale Fläche, die tabula rasa, die den Ausgangspunkt für eine „neue“ Stadt, für den technologischen und rationellen Traum der modernen Stadt an sich bildete. Nach den ersten Jahren der Aneignung entwickelte sich dieser Traum zum Albtraum: mit Ghettos sozial Isolierter, mit Schlafstädten als Inseln ohne Leben auf den Straßen und in vielen Fällen ohne Straßen überhaupt. In Ermangelung eines sozialen Lebens und eines Gefühls der Zugehörigkeit, in Abwesenheit einer ortsspezifischen Identität wurden die „conjuntos habitacionales“ oder „Projekte“ zu einem Ort, von dem man möglichst schnell wieder weg wollte.
In Buenos Aires wurden die 1972 unter optimistischen Vorzeichen von Staff (Bielus, Goldemberg, Krasuk) in Villa Soldati errichteten 1400 Wohneinheiten als „Fuerte Apache“ bekannt – eine Anspielung auf die Grenze zu der Gesetzlosigkeit, für die sie standen, und auf die Tatsache, dass die Polizei sich nur mit einer 300-köpfigen Spezialeinheit in die Siedlung hineinwagte. Der Gouverneur der Provinz Buenos Aires ließ ein ganzes Viertel abreißen, nachdem er zugeben hatte müssen, dass es vollkommen außer Kontrolle geraten war. Eingeschlossen, isoliert, von der öffentlichen Stadt entrechtet, wurde den Bewohnerinnen und Bewohnern der conjuntos habitacionales ein Gefühl der Zugehörigkeit entzogen, und sie wurden zu Opfern krimineller Banden. Sie waren in diesen vom Stadtzentrum weit entfernten Ghettos eingesperrt und mussten lange Wege zum Arbeitsplatz oder zu den öffentlichen Einrichtungen in der eigentlichen Stadt auf sich nehmen. ...
Fernando Diez
Volltext siehe Katalog
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| Abb. 1 Edificio Urbanverde, Buenos Aires; Berdichevsky/Sánchez Gómez; Foto: © Julian Berdichevsky |
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| Abb. 2 Kinderschlafzimmer in einem bestehenden Haus in Boulonge sur Mer, Buenos Aires; A77 (Gustavo Diéguez und Lucas Gilardi); Foto: © Andrea Arrighi |

